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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 5.1891-1892

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1891)
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Avenarius, Ferdinand: Vom deutschen Schriftstellerstand
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https://doi.org/10.11588/diglit.11726#0009

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Menschen auch, der, sei er schon ein Lserr, vor dein
der Anständige ans andere Lnde der Bank rnekt,
immerhin nicht gerade gestohlen hat, sie alle nm-
schließt der Schriftstellerverband mit liebenden Armen,
des sZahresbeitrags wegen, dcn man „;nr Lsebnng
des Standes" brancht. Iournalisten, Schriststeller,
Dichter der anderen Art aber pslegen sich ihren Um-
gang etwas peinlicher ausznwählen, daher beweisen
sie kein „Standesinteresse", diese protzigen, daher
treten sie selten dem Schriststellerverbande bei, daher
werden sie durch diesen nicht vertreten.

<Ls ist aber zu bedauern, daß sie nirgends eine
Dertretung und nirgends eine vereinigung haben.
Lin Lchriststellerverband, der ernste, tüchtige Llemente,
und solche ansschließlich, umfaßte, würde an Geist
und Gharakter eine so stolze Größs bedeuten, daß er
Ansehen und damit Macht von vorn herein besäße.
Und wieviel sände er zn thnn, wie nützlich könnte er
wirken, wie segensreich sogar, nicht blos durch
Besserung der wirtschaftlichen ^age des Aschenbrödels
unserer verhältnisse, des Lchriststellers, sondern vor
allenr durch Säuberung und ^eilung der sittlichen
Schäden in unserin Schriststellertnm. Uban denke der
lächerlichen Uechtsprecherei, die z. B. im Falle Lindau-
U'lehring von eincm Berliner literarischen „Lhren-
gericht" geübt und vom j)ubliknm belacht wnrde,
man denke der Bedentung, die ein wirkliches deutsches
Schriftsteller-Lhrengericht haben könnte, — wenn es
sich voller Autorität ersreute. U'lan denke der Lcham-
losigkeiten, die durch Geldesmacht und selbst noch
jämmerlichere Linslüsse gang und gäbe sind in vielen
unserer Tagesblätter — man srage sich, ob ein im
Notsall sogar wiederholter und überall kundgegebener
Lchnldspruch eines obersten literarischen Lhrengerichts
den preßbanditen und wahrheitsmärdern gröberen
oder seineren Lchlags das Lsandwerk nicht doch erschweren
würde — wenn er volleAutorität genösse. Aberich spreche
nur beispielshalber gerade vom Lhrengericht, das es mit
seiner Ansgabe sreilich nicht leicht nehmen dürste. Lin
verband sener Tüchtigen sände auch sonst noch genug
zu thun. Lr würde sehr viel dazu beitragen können,
daß der echte „Nitter vom Geist" endlich einmal anch
in Deutschland — dem „Lande derDichter und Denker",
das seine Dichter und Denker weniger ehrt, als irgend
ein anderes Uulturvolk — die Ltellung einnehme, aus
die er ein Necht hat nnd die er zu gedeihlicher Arbeit
im Dienste der Allgemeinheit bedars. Zu hundert
wichtigen Fragen hätte man Stellung zu nehmen. Nur
eine greise ich auss Geratewohl als Beispiel: die
Beeinflußung des Textes der Zeitungen durch den
Anzeigenteil, dieses „Nückgrat der Zournale", das oft
genug auch ihr Gehirn ist, — eine Frage von einer
heutzutage ganz riesenhasten Bedeutung. Der verband
könnte Lorderungen ausstellen, und man würde ihn
hören müssen — wenn er volle Achtnng genösse. ..

wäre es möglich, solch einen Schriststelleroerein
zu gründen? wie könnte man ihm jene Achtung
verschassen?

Ganz gewiß nicht dadurch, daß man geistig Sehende
und Blinde, moralisch Gesunde und Cahme mit der
Werbetrommel an die Lintrittskasse riefe: ^eil uns,
es ist bald wieder ein srisches Lsundert, bald wieder
ein srisches Tausend voll! Derzeihnng, ihr bserren,
die Nlenge thut es hier nicht. Gründet ihr zehn

verbände, nm „die Znteressen des Schriftstellerstandes
zu sördern", man guckt euch höchstens an, wie den
deutschen Hühnerologen - oder Skatbrüderverband.
Gebt den Leweis dafür, daß es Luch in der That
außer um die Lrsüllung des ganz gewiß berechtigten
wunsches nach materieller Besserung auch noch um
jenes andere zu thun ist, von dem ihr ja so oft redet,
ohne daß es bei dieser Zusammensetzung eures ver-
bandes zu Thaten jemals kommen könnte: nm die
sittliche Nräftigung unseres öffentlichen Schrifttums.

Nämen Bestrebungen in Fluß, denen man ernstlich
glauben könnte, daß eine solche Ansgabe ihr Ziel und
ihr erreichbares Ziel bedeute, die Unterstützung
von wlännern wäre ihnen gewiß, deren Ansehen in
der Geffentlichkeit über allen Zweisel erhaben ist.
Nun ein Bekenntnis: ich denke durchaus nicht nur an
„Berussschriftsteller" dabei. Zm Gegenteil, ich glaube
nicht nur, „Dilettanten", wie z. B. der alte wloltke
einer war nnd wie sich unter nnsern besten Gelehrten,
Rünstlern, wännern des praktischen Lebens andere
finden, könnten hier bei Gott nichts schaden, ich halte
ihre Wlitwirkung sogar sür notwendig. Ueber ästhe-
tische Fragen sollte ja der neue verein nicht ent-
scheiden, für Fragen der sittlichen würde aber, der
praktischen Durchführbarkeit von vorschlägen usw.
wären jene hochgebildeten schriftstellerischen Dilettanten
zugleich die einsichtsvollste vertretung der öffentlichen
wleinung, die sich nur denken ließe: sie würden ihre
verbandsgenossen vom Berus vor dem versimpeln im
Fach, vor Ueberschätzungen und Unterschätzungen wohl
bewahren. Daran, daß die äffentliche vertretung der
Gedanken nicht versudelt werde, hat jeder Gebildete
ein Znteresse — es giebt eigentlich gar keine „Dilet-
tanten" in einem Sinne, der für eine vertrctung des
dentschen Schrifttums in Frage käme, wie sie in Nede
steht.

Zch will für heute nicht ausführen, wie ich mir
die Lösung einer schwierigen, vielleicht der schwierigsten
Frage bei solch einer Organisation denke, der Frage:
wie ein erster Ausschuß von achtunggebietender Auto-
rität hingestellt werden könnte. Zch behalte mir vor,
darauf zurückzukommen, bin übrigens auch sehr weit
von dem Glauben entsernt, daß ich den einzigen weg
wüßte, der nach Nom führt. Zst der nene Ausschuß
von vertrauensmännern einmal da, so müßte er sich
zu dem neuen Lchrifttnmsverein erweitern, nicht durch
Annahme von Beitrittserklärnngen natürlich, sondern
durch wahl, vielleicht auch unter Durchprüsung einer
Randidatenliste, zu der man sich melden könnte. Zch
bin sehr bereit, bessere vorschläge als diese anzn-
nehmen nnd sie auch den Lesern dieses Blattes zu
zeigen. Nur das steht fest für mich: nur der Schrist-
stellerverein kann sich anch in der Oeffentlichkeit An-
sehen erwerben, dem anzugehören eine Lhre und der
eine wlacht ist, weil er durch ehrenvolle Bernsung
die Tüchtigsten, die Stärksten verbindet.

Die Mitgliederzahl müßte niedrig gehalten werden.
„wer's nicht edel und nobel treibt, lieber weit von
dem Handwerk bleibt" — wer für den pöbel in Frack
oder Lsemdärmeln Theaterschmarren oder Schundromane
schmiert, weil's Geld macht, wer als politischer Zour-
nalist seine Meinung verschachert, wer im Feuilleton
nichts weiter thut, als purzelbäume schlagen, der ge-
 
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